Lagebericht [Update 21.02.24]

Sister Grimm
4 min readFeb 21, 2024

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Das Kind hat einen Namen. Zeit und Kommunikation übernehmen die Hauptrollen in der Heilung. Und ich bin nicht allein.

Blick an die Decke. Uniklinik Marburg.

Hurrah, ich bin mit meiner Krankheit endlich in einer Schublade angekommen. Dort mache ich es mir jetzt gemütlich, denn es scheint eher so eine Langzeit-Schublade zu sein. Vergleichbar mit solchen, die hartnäckige Vorurteile beherbergen.

Gestern hatte ich einen Termin in der Post-Vac-Sprechstunde, den ich seit April 2022 zu bekommen versucht hatte. Die Sprechstunde, die die einzige ihrer Art in Deutschland ist, hat ihr Zuhause an der Kardiologie der Uniklik Marburg und sammelt, untersucht und behandelt Fälle wie meinen: Symptome von Long Covid, die statt mit einer Infektion mit der Impfung gegen die mistige Seuche in Zusammenhang gebracht werden. Denn, auch wenn es sehr viel seltener vorkommt und die Impfung fraglos sehr viel mehr Schaden abgewehrt, als angerichtet hat, kann als Reaktion auf sie derselbe Mist entstehen, wie als Reaktion auf eine Covid-Infektion. Und so ist es bei mir.

Sollten in weiteren Blut-Analysen nicht noch irgendwelche Überraschungen auftauchen, die auf eine ganz andere Quelle meiner Symptome schließen lassen, gelte ich als schwerer Fall von Post-Vac. Mein negativer Antikörpertest auf das Nukleokapsidprotein-IgG sagt, dass ich aller Wahrscheinlichkeit nach keine Covid-Infektion hatte. (Damit fühle ich mich langsam wie ein Einhorn. Ein langsames Einhorn.)

Die gute Nachricht ist: Die Expert:innen gehen davon aus, dass der Körper irgendwann mit dieser Impf-Reaktion klargekommen sein wird. Dass also tatsächlich hier die Zeit die Heilerin №1 ist. Wie lange das dauert? Das lässt sich nicht seriös beantworten, denn die Zeit redet nicht.

Noch eine gute Nachricht: Es ist wahrscheinlich nichts kaputt. Alles, was nicht rundläuft, wird auf “Kommunikationsprobleme” zwischen Nerven oder zwischen Nerven und Muskeln zurückgeführt. Das passt zu den Erfahrungen von Dezember, bei denen ich mich nach der Akupunktur ein paar Tage beinahe symptomfrei gefühlt hatte. Und es passt auch zu den merkwürdigen Schmerzen, die sich beinah täglich über meinen Körper schieben. Mein behandelnder Arzt sprach dazu von einer “Dysästhesie”, einer Empfindungsstörung. Mein Gehirn bekommt Schmerzen gemeldet, ohne, dass ein Reiz erkennbar wäre. Fake-News quasi. Aber dass Fake-News weh tun können, wissen wir ja leider alle. Dass ich allerdings mal auf diese Weise an Kommunikationsproblemen leiden würde, hätte doch niemand gedacht. Nun ja.

Was nun tun außer warten? Die Marburger haben zwei medikamentöse Basis-Strategien, die (in meinen Worten) den Körper entlasten, damit er sich um die generelle Wiederherstellung der Großwetterlage kümmern kann. Das erste Medikament senkt das Blutfett, was die Leber entlastet. (Meine Mutter hat es von Anfang an gesagt!!!). Das zweite Medikament würde den Blutdruck senken und gleichzeitig anti-entzündlich sein. Die Blutdruckgeschichte wäre nur nebensächlich. Hier allerdings im Konjunktiv beschrieben, denn mein Blutdruck ist zu niedrig, um ihn noch zu senken. Resultat wäre, so der Doktor, vermutlich gar keine Energie mehr und das wollen wir ja eben nicht.

Darüberhinaus soll ich mal ausprobieren, histaminarm zu essen. Auch das kann was bewirken. Ansonsten: Weiter wie bisher. Kopf und Körper irgendwo zwischen Vermeidung und Überanstrengung in Betrieb halten (Stichwort Pacing) und die Geduld pflegen.
Ah ja. Ich soll möglichst keine (Covid)Infektion einsammeln und von weiteren Impfungen absehen. Und besser wär’s, den Körper im Blick zu halten und immer mal zu checken, ob sich nicht noch / doch was anderes Fieses wie MS oder so breitmacht.

So weit, so aufschlussreich war also mein Ausflug zu den Menschen, die sich auskennen mit dem, was ich da habe. Zumindest mehr auskennen, als eigentlich alle anderen, die ich bislang getroffen habe. Das tut gut. Es erleichtert und beruhigt, selbst wenn die Erkenntnisse nicht rosig sind.

Und noch jemand kennt sich aus und begleitet mich: Ich habe seit Kurzem eine Gesundheits-Coach, die selbst an Fatigue litt und mittlerweile genesen ist. Das tut sehr gut. Es nährt die Zuversicht und stärkt das innere Wachstum, damit ich irgendwann aus der Schublade herauswachse. Jawohl.

P.S. Weil gefragt wurde: Ein typischer Tag sieht für mich so aus, dass ich bis ca. 16–17Uhr mit Essen zubereiten, essen und ruhen ausgefüllt bin. Manchmal kann ich in diesen Stunden auch ein Hörbuch hören, einen Film sehen oder ein bisschen chatten. Nachmittags/Abends ist häufig mehr drin — zum Beispiel diesen Text zu schreiben, Orga zu erledigen oder mit jemandem zu reden.
An manchen Tagen geht fast gar nichts und selbst essen scheint eher etwas für Herkules zu sein. Das ist zum Glück selten.
An manchen Tagen geht mehr — einkaufen im Supermarkt nebenan oder gar ins Museum oder spazieren — und das freut mich dann enorm!

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Sister Grimm

Chronic Fatigue Syndrome Patientin, die in wachen Momenten über ihre (Nicht-)Erlebnisse schreibt.